BUCHBESPRECHUNG

WARUM STARREN DIE LEUTE?

Poesie der Alltäglichkeit: Liebesgedichte von Florian Günther

Von Susann Klossek

 

Normalerweise kann ich es für den Tod nicht ausstehen, wenn Autoren ein neues Buch ankündigen, das sich bei näherem Hinsehen als Sammlung alter Elaborate entpuppt, die nur neu zusammengewürfelt wurden. Gern werden auf diese Art Zeitungskolumnen, die schon als Einzelwerk nur minder unterhaltend waren, als Frischwerk dem geneigten Leser untergejubelt, der dann enttäuscht feststellen muss: 'Ach, dit hab ick ja allet schon jelesen, hat mich schon beäm ersten Mal nich umjehaun!' Selbiges passiert auch oft mit Gedichten, wo sich mir, insofern der Autor noch unter den Lebenden weilt, immer wieder die Frage aufdrängt: Waren der Knilch oder die Trulla zu faul, Neues zu erschaffen? Und muss ich jetzt nochmal Geld ausgeben für etwas, das ich bereits kenne, nur weil es in einem neuen Umschlag steckt? Ähnliche Gedanken hatte ich auch bei der Ankündigung des neuen Werks von Florian Günther. So hat der Meister himself, seines Zeichens DreckSack-Herausgeber, Dichter, Fotograf und Trinker aus Passion mit Liebesgedichte oder so was Ähnliches jetzt also auch ein Sammelsurium aus Alt- und Ganzaltbewährtem herausgebracht. Und auch noch zum Thema Liebe, wo ich mich zwangsläufig fragte: Wird der Gute rührselig, weil es auf Weihnachten und/oder aufs Alter zugeht?

Nein! Denn von Liebe kann man nie genug bekommen. Und: Man kann ein Gedicht von Günther auch zum zehnten Mal lesen und es ist immer noch gut. Manche werden von Mal zu Mal sogar besser. Zudem kennt man doch nie alles, was einer irgendwann einmal geschrieben hat. Oder man hat es vergessen, weil mit zunehmendem Alter der Speicher im Hirnstübchen Lücken aufweist. Zudem gibt es bei Günther so gut wie keine qualitativen Ausfälle. Wo man bei anderen Dichtern manchmal seitenweise Durststrecken überwinden muss und gerne mal ins Gähnen gerät, haut der vermaledeite Drecksack einen Volltreffer nach dem anderen aufs Papier: «Komm wieder rein, du Zicke, rief ich. Ich blute! Na und! Kam es zurück. Dann tust du ja wenigstens mal was!» Oder: «…warum starren uns die Leute so an? frage ich sie. Weil sie neidisch sind, sagt sie. Auf wen? Auf dich oder auf mich? Na, dreimal kannste raten, Penner.»

Günther kommt, was bei Lyrik selten ist, ohne pathetische Bekenntnisse und zwanghafte Animositäten aus. Seine Poesie der Alltäglichkeit nährt sich durch den von Alkohol mitunter leicht getrübten Blick des Dichters und seiner Faszination für die Nicht-Ereignisse in seinem unmittelbaren Dunstkreis. Anders als Bukowski, mit dem er hin und wieder, meiner Meinung nach fälschlicherweise, verglichen wird, weist Günther mehr Humor auf und ist weniger abgefuckt, sodaß selbst meine kritische Mutter ihre wahre Freude an seinen Gedichten hat und das neue Werk gleich mal für sich konfiszierte.

Rund 80 Gedichte zum Thema Liebe und allem, was damit zusammenhängt, vom ersten verknallt sein bis zum Tod – wahlweise der Liebe oder der Protagonisten – , hat Günther aus neun Gedichtbänden zusammengetragen und überarbeitet. Seine Texte kommen ohne existenzialistische Dramatik aus, die Dinge werden in ihrer unmissverständlichen Trübe stehengelassen. Das ist erfrischend, erheiternd, das spendet Trost, gibt Hoffnung: «Du hörst Julio Iglesias? Nee. Aber wenn ich so wäre, wie du mich haben willst, würde ich es tun!»

Günther sei süchtig nach Realität, sagte er einmal in einem Interview, was sich klar in seinen Texten widerspiegelt. Und für die Liebe wird er auch gerne mal «… zum Charmeur. Einem singenden Engel. Immer gut gelaunt und eine Lusche vor dem Herrn.» Seine Lyrik kommt aus dem Jetzt, unprätentiös, ehrlich und auf den Punkt gebracht: «Das Ende einer grossen Liebe Sie mochte Schostakowitsch. Ich auch. Aber nicht so oft.»

Was die Gedichte ergänzt als wären sie die abhandengekommenen und nun endlich wiedergefundenen Zwillingshälften, sind die wunderbaren Illustrationen von Katharina Manzke-Leubner, an denen man sich gar nicht sattsehen kann und die einen dazu animieren, den Zeichenstift zu spitzen und selbst ein paar Striche übers Papier zu kritzeln. Sie machen das Buch nicht nur zum Lese-, sondern auch zum visuellen Vergnügen. Bei wem nicht spätestens hier das Kopfkino in die Gänge kommt, dem ist nicht mehr zu helfen.

 

 

junge Welt 31.01.2019