Florian Günther
AUSGEMISTET
Gedichte 1989-2011
Verlag Peter Engstler; 2011
Nachwort: Hermann Peter Piwitt336 Seiten, Paperback, 20 x 13 x 3 cm
Das Beste aus allen Büchern von "Taschenbillard" bis zu "Mir kann keiner".
Plus 30 zusätzlichen Gedichten nur für diese Ausgabe.
Erdbeernasen in die Politik!
Sie lungern
täglich
vor der alten
Kaufhalle herum.
Trinken
Schnaps und
sehen sich
die Leute an.
Den einen
kenne ich von
früher.
Na, Fjoori,
wat macht die
Schreiberei?
Frag sie
doch selber,
Ralf.
Breites
Grinsen.
Während
ich mir einen
Wagen hole,
höre ich
ihn sagen:
Der schreibt
Gedichte,
der Fjoori. Is
aber gar
kein schlechter
Kerl.
Ich gehe rein
und denke:
Würde der
gewählt, wären
wir alle aus
dem Schneider.
Treppenpaule
Er saß hinten am
Ofen, den
Hund unterm Tisch.
War nie was
anderes
als Pförtner.
Aber immer
n flotten
Spruch auf den
Lippen:
Lieber zehn
Russen
als einen Wessi!
Den mochten
sie alle.
Kundschaft
Manch einer will die
harten Sachen.
Den nackten Schrei,
roh und brutal wie
ein Verkehrsunfall mit
Toten.
Ein anderer hat es
gern subtil
und zwischen den
Zeilen. Weder klar noch
deutlich. Stets
ein bißchen hintenrum.
Und ein dritter
sucht den hohen Ton.
Das Prätentiöse.
Den ausgestreckten
Zeigefinder
in der Wunde.
Doch sie alle sind
nur Kunden.
Auf der Suche nach
sich selbst
durchwühlen sie
deine Zeilen
wie einen Korb voll
schmutziger Wäsche.
Und wenn sie
sich nicht finden, bist
du schuld.
Lesung mit dem letzten Beatnik
Für Hadayatullah Hübsch † 2011
Hadayatullah las als Erster,
und ich stand draußen
vor der Kneipe
und kotzte mir die Seele aus dem Leib.
Hinter mir blieb
einer stehen:
Oh Gott, wie entsetzlich …
Was? Ich drehte
mich um. Ich muß hier
gleich lesen …
Der Mann ging weg.
Hadayatullah las
noch immer,
und er klang wie ein Beatnik
auf deutsch, und ich
dachte, lies, Kumpel, lies,
vielleicht
vergessen sie mich ja!
Doch dann war plötzlich
Schluß. Ich hörte,
wie sie meinen Namen riefen,
und sofort kam es mir
noch mal hoch …
Ich fand ein Taschentuch,
wischte mir
Mund und Schuhe ab,
ging da rein und setzte mich ans
Mikrofon.
Falsche Besetzung
Ich lese ihren Namen auf dem kleinen
Plastikschild an ihrem Kittel, betrachte ihr Gesicht und
ihre abgekauten Fingernägel, während ich mich
frage: Warum spielt sie nicht
die Hauptrolle
in Woody Allens neuem Film?
Das Band kennt kein
Pardon:Butter, Eier, Socken, Wein, Windeln…
Ich rücke vor.
Sie blickt kurz auf
und lächelt.
Hi.
Hallo, sage ich
möglichst freundlich,
alles o.k.?
Ihr Lächeln
verschwindet. Während
ich zahle, drängelt
schon
der Nächste.
Bohnen, Gurken, Hundefutter, Eis …
Ich gehe raus.
Werfe meinen Einkauf
in den Kofferraum
und denke:
Für mich ist sie ein Star.
Und das, was Woody Allen
dafür hält, sollte
eigentlich da drinnen an der Kasse
sitzen.
Parterre
Es riecht
nach Sauerbraten, Kinder
kreischen im Hof, der Alte von
ganz oben schlurft,
die Zeitung unterm Arm,
die Treppe rauf.
Friedrichshain.
80er Jahre.
Ein Bulle klopft an
die Tür.
Waren Sie das?
Was?
Die Sauerei da im
Eingang. Das Gekotze.
Kann nicht sein,
Herr Wachtmeister.
Ich hab seit
Jahren
nicht gekotzt.
Sie lügen doch!
Nich, wenns
um solche Sachen
geht!
Und sonst?
Sonst bin
ich auf Arbeit.
Der Bulle lacht.
Ich schließe
die Tür und sehe
ihn vom Fenster aus die
Straße überqueren.
Es war nicht
alles schlecht.