Nachwort

 

Wortspiele und Widersprüche, unerwartete Wendungen und humorvoll zugespitzte Pointen zählen bekanntlich zu den bevorzugten Techniken des Aphoristikers. Technik freilich ist nicht alles, wie Umberto Eco am Beispiel von Oscar Wilde demonstriert hat. Rasch können Stilmittel zur Routine verkommen. Übrig bleibt dann, wenn überhaupt, die Effekthascherei. Was auf den ersten Blick als geistreiche Einsicht erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung häufig als geistloses Konstrukt. Nicht so bei Florian Günther.

Aphorismen haben Tradition. Dass Günther seinen gesammelten Sprüchen und Notizen ein Zitat von Georg Christoph Lichtenberg vorangestellt hat, mag als Referenz an diesen gelesen werden. Denn hierzulande sind es Lichtenbergs postum veröffentlichten Sudelbücher gewesen, die Anfang des 19. Jahrhunderts den Aphorismus als literarische Kunstform salonfähig gemacht haben. So weit, so gut. Doch handelt es sich im Falle des von Günther gewählten Mottos gleichsam um eine Referenz der besonderen Art. Nicht die von Lichtenberg in Anschlag gebrachten Hypothesen und Theorien sind für ihn von Belang, sondern das, was Lichtenberg als „bloßen Schutt“ meint abtun zu können. Damit wird der arroganten Haltung und Ignoranz á la Lichtenberg eine gründliche Abfuhr erteilt. Elitäres Gehabe ist Günthers Sache nicht. Dafür verfügt er über eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe.

Gegenstand seiner Aphorismen (wie auch seiner Gedichte) bildet der Dschungel des alltäglichen Wahnsinns. Mal stammt das Material aus der Kneipe oder von der Straße. Mal aus der Tageszeitung, dem Radio oder dem Fernsehen. Reflektiert wird über das Schreiben, über Begegnungen und Beziehungen, das Ende der DDR, Leben und Tod, oder Politik.

In diesem Sinne ist der Buchtitel Programm. Wenn von Schutt die Rede ist, denken wir gewöhnlich an „Schutt und Asche“, wir denken an Schotter und Geröll, Gesteinshaufen und Trümmerfelder, zerstörte Wohnblocks, Siedlungen oder Landschaften. Kein Missverständnis: Es geht nicht darum, die Trümmer wieder aufzuschichten, sondern darum, die verschüttete Realität freizulegen. Alles ist schon da, stellt Günther treffend fest. Man muss nur graben, graben, graben …

 

 

Marvin Chlada, November 2016